Bis vor etwa 20 Jahren scheute man sich in der Klimaforschung davor, Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen im Einzelnen mit dem Klimawandel in Zusammenhang zu bringen. Schließlich gibt es einen wichtigen, grundsätzlichen Unterschied zwischen Wetter und Klima: Wetter ist das, was in einem kurzen Zeitraum von Minuten bis Wochen passiert, inklusive einer gehörigen Portion chaotischen Zufalls. Klima hingegen erstreckt sich über viele Jahre und entspricht genau genommen nicht nur dem „mittleren Wetter“, wie so gern vereinfacht wird, sondern der gesamten statistischen Verteilung von Wetterzuständen und deren Verlauf. Erst 2003 machte Myles Allen darauf aufmerksam, dass der statistische Zusammenhang zwischen Wetter und Klima es sehr wohl ermöglicht, den Einfluss des Klimawandels auf konkrete Extremwetterereignisse zu beziffern (1).

Seither untersucht die Attributionsforschung, wie sich die Wahrscheinlichkeit und Intensität konkreter Extremereignisse durch den Klimawandel verändert hat. Dazu werden möglichst umfangreiche Simulationen von Klimamodellen ausgewertet, einerseits im heutigen Klima, und andererseits im vorindustriellen Klima. Zunächst wird ein Ereignistyp definiert, der relevant für ein beobachtetes Ereignis ist, - im Fall einer sommerlichen Hitzewelle zum Beispiel die jährlich höchste 3-Tages-Mitteltemperatur. Im Grunde wird nun gezählt, wie oft der Wert des beobachteten Ereignisses in den Klimasimulationen in der betroffenen Region erreicht oder überschritten wird, und wie sich diese Häufigkeit mit dem Klimazustand ändert. Diese probabilistische Methode wurde durch die „World Weather Attribution“-Gruppe perfektioniert und wird seit einigen Jahren regelmäßig auf aktuelle Extremereignisse angewandt (2). Auch beim Deutschen Wetterdienst kommt diese Methode nun zum Einsatz (3).

Die probabilistische Methode der Attributionsforschung stößt jedoch an Grenzen, wenn es um besonders extreme Ereignisse geht, welche in den bisherigen Simulationen nicht oder kaum vorkommen. In solchen Fällen lassen sich keine robusten Aussagen über Wahrscheinlichkeitsänderungen treffen. Auch stellt sich die Frage, warum sich die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ändert: Liegt es einfach an den treibhausgasbedingt erhöhten Temperaturen und wie sich diese thermodynamisch direkt auf andere Parameter auswirken, oder spielen komplexere Änderungen der Windsysteme eine Rolle? Werden zum Beispiel blockierende Wetterlagen häufiger und/oder langlebiger, oder ist vielleicht das Gegenteil der Fall? Tatsächlich sind solche Änderungen der atmosphärischen Dynamik mit großer Unsicherheit behaftet und unterscheiden sich meist von Modell zu Modell (4). Diese Probleme umgehen ereignisbasierte Storylines (5), indem sie fragen: Wie wäre ein beobachtetes Extremereignis abgelaufen, wenn sich die gleichen Windmuster in einem anderen Klimazustand ereignet hätten?

AWI Storyline Simulations

Abbildung 1: Tageshöchsttemperatur am 25. Juli 2019 in Deutschland im heutigen Klima (Mitte), sowie im vorindustriellen (links) und global 4 °C wärmeren Klima gemäß AWI-CM1 Storyline-Simulationen korrigiert mit Beobachtungsdaten. Abbildung aus Sánchez-Benítez et al. 2022 (7).

Goessling_Logo_SCENIC.pngDiesen Ansatz verfolgen wir im Rahmen des Helmholtz-Innovationspool-Projekts SCENIC (kurz für: Storyline Scenarios of Extreme Weather, Climate, and Environmental Events along with their Impacts in a Warmer World, 2022—2024), welches auf Vorarbeiten im Rahmen der Helmholtz-Klimainitiative (6) aufbaut. Dabei werden zunächst die großräumigen Winde in globalen Klimamodellsimulationen mittels „Nudging“ mithilfe von ERA5-Reanalysedaten vorgeschrieben. Mehrere solche Simulationen mit jeweils unterschiedlichem Hintergrundklima sind am DKRZ durchgeführt worden.

AWI Storyline Simulations

Abbildung 2: Anomalien der Meeresoberflächentemperatur im Nordpazifik im Sommer (JJA) 2019 im Vergleich zur Referenzperiode 1984—2014, in der ERA5 Reanalyse (oben) und in verschiedenen Klimazuständen gemäß AWI-CM-1 Storyline-Simulationen (unten). Abbildung aus Athanase et al. 2024 (8).

Bereits die globalen Storyline-Simulationen haben interessante Analysen ermöglicht. So konnten wir zeigen, dass gemäß AWI-Klimamodell (AWI-CM-1) die Hitzewelle im Juli 2019 in Deutschland durch den Klimawandel bereits um 3 °C intensiver ausgefallen ist; statt mancherorts 40 °C wären ohne Klimawandel moderatere 37 °C erreicht geworden (Abb. 1). In einem global 4 °C wärmeren Klima wären sogar bis zu 47 °C erreicht worden. Der verstärkten Erwärmung um 10 °C im Vergleich zu 4 °C im globalen Mittel liegt zum einen der bekannte Land-See-Kontrast der Erwärmung zugrunde. Der Unterschied fällt in diesem Fall jedoch besonders stark aus, da die Verdunstungskühlung aufgrund austrocknender Böden zum Erliegen kommt (7).

Video 1: Die Hitzewelle im Juli 2019 in einer 4 °C wärmeren Welt. Die Visualisierung zeigt in den drei Bilder den gleichen simulierten Wetterablauf: links für das vorindustrielle Klima, in der Mitte für das heutige Klima sowie rechts für eine 4 Grad wärmere Welt. Der Wind in etwa 10 km Höhe wird als weiße Streifen dargestellt, die tägliche maximale Oberflächentemperatur anhand der Farben und die Meereiskonzentration als weiße Schattierung in und um Europa. Das Video ist direkt auch auf YouTube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=Rzr5kWRytZY

Die Verwendung eines gekoppelten Modells (AWI-CM-1) macht es möglich, den Einfluss des Klimawandels auf Extreme auch im Ozean zu untersuchen. So konnten wir feststellen, dass sich die marine Hitzewelle im Nordpazifik im Sommer 2019 im Wesentlichen im Einklang mit der regionalen Hintergrund-Erwärmung intensiviert, wobei jedoch die betroffene Fläche zunimmt (Abb. 2). Dabei konnten wir ein komplexes Zusammenspiel zwischen der ozeanischen Mischungsschicht, der Wolkenbedeckung und der Zufuhr unterschiedlich erwärmter Luftmassen je nach Windrichtung herausarbeiten (8).

Tagesmaximum der bodennahen Lufttemperatur

Abbildung 3: Links: Tagesmaximum der bodennahen Lufttemperatur am 25. Juli 2019 gemäß ICON-12 km (Europa). und ICON-3 km (Deutschland), Rechts: Verlauf der Tagesmittel- und Tageshöchsttemperatur in Deutschland im Juli 2019 gemäß der drei Modellkonfigurationen und Beobachtungen (HYRAS). Abbildung aus Klimiuk et al. in Vorbereitung(9).

Ein weiterer zentraler Aspekt von SCENIC ist das Erzeugen verfeinerter Daten durch dynamisches Downscaling mit Regionalmodellen auf Grundlage der globalen Storylines (Auflösung von ca. 100 km). Dafür verwenden wir primär regionale ICON-Konfigurationen für Europa (mit einer Auflösung von ca. 12 km) und für Deutschland (mit ca. 3 km; Abb. 3 links), aber auch noch feinere WRF-Konfigurationen (ca. 1 km) für kleinere Gebiete sowie KI-Methoden aus dem Bereich der neuronalen Netze (9). Das Ziel ist, präzisere Daten zu erhalten, bei denen der auf der regionalen Skala wichtige Einfluss von Geländeform, Landnutzung, Bodenbeschaffenheit, Küstengeometrie, etc. sowie kleinskaligere Ereignisse zum Beispiel im Zusammenhang mit Starkregen besser abgebildet werden. Dabei haben sich Starkregenereignisse wie jenes, das 2021 zu Zerstörungen im Ahrtal geführt hat, weiterhin als schwierig zu reproduzieren erwiesen. Dennoch sind durch den Einsatz der Regionalmodelle wichtige Verbesserungen gelungen. Zum Beispiel geben die regionalen Storylines die im globalen Modell unterschätzen Tageshöchsttemperaturen im Verlauf von Hitzewellen realistischer wieder (Abb. 3 rechts). Auch die ICON-basierten Storylines zeigen eine Erwärmung in der Spitze der Hitzewelle vom Juli 2019 von über 8 °C zwischen vorindustriellem und global 4 °C wärmerem Klima (Abb. 3 links)(10).

Die globalen und insbesondere die regionalen Storyline-Daten werden von weiteren Helmholtz-Projektpartnern verwendet, um verschiedene Landoberflächenmodelle anzutreiben und somit noch detailliertere Impact-Storylines zu erzeugen. Dabei stehen landwirtschaftliche ebenso wie hydrologische Aspekte im Vordergrund. Für 2024 hat sich SCENIC zum Ziel gesetzt, auf Grundlage der vielfältigen Daten den Einfluss des bisherigen und zukünftigen Klimawandels auf die europäischen Hitze- und Dürre-Sommer seit 2018 aus der Storyline-Perspektive umfassend zu beleuchten.

Referenzen:

(1) Allen, M. (2003). Liability for climate change. Nature 421, 891–892 (2003). https://doi.org/10.1038/421891a
(2) https://www.worldweatherattribution.org
(3) https://www.dwd.de/DE/leistungen/attributionsforschung/attributionen.html
(4) Shepherd, T. G. (2014). Atmospheric circulation as a source of uncertainty in climate change projections. Nature Geoscience, 7(10), 703-708. https://doi.org/10.1038/ngeo2253
(5) Shepherd, T. G., Boyd, E., Calel, R. A., Chapman, S. C., Dessai, S., Dima-West, I. M., ... & Zenghelis, D. A. (2018). Storylines: an alternative approach to representing uncertainty in physical aspects of climate change. Climatic change, 151, 555-571. https://doi.org/10.1007/s10584-018-2317-9
(6) https://www.helmholtz-klima.de
(7) Sánchez-Benítez, A., Goessling, H., Pithan, F., Semmler, T., & Jung, T. (2022). The July 2019 European heat wave in a warmer climate: storyline scenarios with a coupled model using spectral nudging. Journal of Climate, 35(8), 2373-2390. https://doi.org/10.1175/JCLI-D-21-0573.1
(8) Athanase, M., Sánchez-Benítez, A., Goessling, H. F., Pithan, F., & Jung, T. (2024). Projected amplification of summer marine heatwaves in a warming Northeast Pacific Ocean. Communications Earth & Environment, 5(1), 53. https://doi.org/10.1038/s43247-024-01212-1
(9) Glawion, L., Polz, J., Kunstmann, H., Fersch, B., & Chwala, C. (2023). spateGAN: Spatio-temporal downscaling of rainfall fields using a cGAN approach. Earth and Space Science, 10, e2023EA002906. doi: 10.1029/2023EA002906
(10) Klimiuk, T., Ludwig. P., Sánchez-Benítez, A., Goessling, H., Braesicke, P., Pinto, J.G. (in prep). A Regional Perspective of Storyline Simulations of the Recent European Summer Heatwaves.

Autoren und wissenschaftlicher Kontakt:
  • Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI): Helge Goessling, Marylou Athanase, Thomas Jung,  Antonio Sánchez-Benítez
  • Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Meteorologie und Klimaforschung Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU): Benjamin Fersch, Luca Glawion,
  • Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Meteorologie und Klimaforschung Troposphärenforschung (IMKTRO): Tatiana Klimiuk, Patrick Ludwig, Joaquim G. Pinto,
Keywords
Klima