In vielen Fällen beinhalten modellierte zukünftige Pfade eine Überschreitungsperiode ("Overshoot"), in der die Temperaturen zunächst über das Klimaziel hinausschießen und später durch den Einsatz von CDR in einem Umfang gesenkt werden, der die Restemissionen übersteigt, sodass netto negative Emissionen erreicht werden. Aufgrund verzögerter und unentschlossener Klimaschutzmaßnahmen werden Überschreitungspfade immer wahrscheinlicher und haben in letzter Zeit erhebliches Forschungsinteresse geweckt. Es bleiben aber Unsicherheiten hinsichtlich der Reaktionen des Erdsystems auf solche Temperaturüberschreitungen.
Obwohl eine breite Palette neuartiger land- und ozeanbasierter CDR-Methoden in Betracht gezogen wird, ist ihr technologischer Reifegrad derzeit noch gering, und es besteht weiterer Forschungsbedarf. Daher setzt praktisch die gesamte bisher angewandte Kohlendioxidentnahme auf konventionelle landbasierte CDR-Methoden und dabei insbesondere auf Aufforstung/Wiederaufforstung (AW) sowie nachhaltige Waldbewirtschaftung. AW umfasst die Umwandlung von bisher anders genutztem Land in Waldflächen (durch Neubepflanzung oder natürlichen Aufwuchs). Der aufwachsende Wald bindet mehr Kohlenstoff als das zuvor nicht bewaldete Ökosystem und nimmt daher mehr CO2 aus der Atmosphäre auf. AW kann die Wiederaufforstung von historisch abgeholztem Waldflächen oder die Umwandlung von Land umfassen, das früher kein Wald war, sondern ein anderes natürliches Ökosystem (Aufforstung).
Angesichts der Vielzahl von zusätzlichen Vorteilen und des Kohlenstoffbindungspotenzials von Baumpflanzungen haben viele Länder der ganzen Welt Aufforstung/Wiederaufforstung als Kerninstrument in ihr Portfolio von Netto-Null- und langfristigen Klimazusagen aufgenommen. Die zugesagten Flächen der Länder belaufen sich bis 2060 auf insgesamt 490 Mha und werden voraussichtlich steigen, da immer mehr Länder ihre Zusagen einreichen. Die Umwandlung in Waldflächen ist jedoch eine große Herausforderung, denn sie kann einen Verlust der Artenvielfalt auslösen und mit der landwirtschaftlichen Nutzung konkurrieren, was die Ernährungssicherheit gefährden könnte.
Ein Team um den Wissenschaftler Yiannis Moustakis untersuchte das Minderungspotenzial eines ehrgeizigen AW-Einsatzes im Bereich der Länderzusagen unter einem Temperaturüberschreitungsszenario. Ihre Ergebnisse wurden in dem Artikel „Temperature overshoot responses to ambition forestation in an Earth System Model“ vor kurzem in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Für ihre Studie entwickelten sie ein räumlich-zeitlich eingegrenztes AW-Szenario im Bereich der Länderzusagen und berücksichtigte dabei technisch-ökonomische Überlegungen, zukünftige Landverfügbarkeit, Nahrungsmittelbedarf, Schutz und Nutzung der Artenvielfalt. Sie verwendeten >1.200 modellierte sozioökonomische Zukunftsszenarien, die von sogenannten integrierten Bewertungsmodellen erstellt wurden. In dem gewählten Szenario erreicht die Aufforstung/Wiederaufforstung eine Fläche von 595 Mha bis 2060 und von 935 Mha bis 2100, was etwas weniger als das Dreifache der Fläche Indiens entspricht. In diesem Szenario wird für die Baumpflanzung stark bewirtschaftetes Weideland gegenüber abgeholzten Gebieten priorisiert, während natürliches Gras- und Buschland nicht umgewandelt wird. Dadurch wird die Biodiversität so weit möglich geschützt, während die für die AW benötigten Flächen zur Verfügung gestellt werden können.
Video: Visualisierung der simulierten Aufforstung/Wiederaufforstung zur Eindämmung des Klimawandels (Visualisierung: DKRZ). Der Globus links zeigt das Aufforstungsmuster im Vergleich zu 2015, welches durch das konstruierte Szenario beschrieben wird, das durch technisch-ökonomische Überlegungen, Potenzial zur Wiederherstellung von Wäldern und Biodiversitätskarten eingeschränkt ist und 595 Mha bis 2060 und 935 Mha bis 2100 erreichen wird. Die daraus resultierende Gesamtveränderung der globalen Waldfläche ist unten links dargestellt.
Das Team hat dieses Szenario von 2015 bis 2100 mit dem aktuellen Erdsystemmodell des Max-Planck-Instituts (MPI-ESM) durchgerechnet. Dieses enthält einen vollständig interaktiven Kohlenstoff-, Energie- und Wasserkreislauf zwischen Land, Ozean und Atmosphäre und kann somit alle notwendigen Rückkopplungen und Klimaeffekte darstellen, die nach großflächiger Aufforstung/Wiederaufforstung auftreten. Abgesehen vom entwickelten AW-Szenario basieren die MPI-ESM-Simulationen auf fossilen Brennstoffemissionen, die dem gemeinsamen sozioökonomischen Entwicklungspfad (Shared Socioeconomic Pathway, kurz: SSP) SSP5-3.4 folgen. Dieses Szenario weist bis zur Mitte des Jahrhunderts hohe Emissionen auf, gefolgt von einer raschen Dekarbonisierung der Wirtschaft, die im späten Jahrhundert einen Netto-Negativwert erreicht. Neben dem AW-Szenario wurde auch ein Referenzszenario (REF) ausgeführt, das seit 2015 keine Landnutzungs- oder Landbedeckungsänderungen aufweist und als alternatives Vergleichsszenario dient.
Angesichts der inhärenten internen Variabilität des Erdsystems und der schwer zu vorhersagenden Dynamik. Dynamik der Temperaturüberschreitungsverläufe haben die Wissenschaftler:innen den enormen Aufwand betrieben, je 10 Ensemblemitglieder für jedes der REF- und AW-Szenarien zu berechnen. Alle Simulationen wurden auf dem Hochleistungsrechner Levante des DKRZ ausgeführt. Insgesamt wurden 1.700 Modelljahre simuliert, was auf Levante etwa 4.600 Knotenstunden Rechenzeit erfordert hat. Dabei wurden etwa 10 Terabyte an Ausgabedaten erzeugt. Ein solcher Ressourceneinsatz ist für eine Modellstudie eher untypisch, war hierbei jedoch erforderlich, um den Fußabdruck der Aufforstung/Wiederaufforstung statistisch robust zu ermitteln.
Insgesamt zeigen die Wissenschaftler:innen, dass eine ambitionierte Aufforstung/Wiederaufforstung im Bereich der Länderzusagen die globale Spitzentemperatur um 0,08 °C und die Temperatur am Ende des Jahrhunderts um 0,2 °C senken kann. In der Visualisierung ist der Umfang der Temperaturreduktion durch die blaue Fläche zwischen den beiden Temperaturkurven unten rechts im Bild hervorgehoben. Dabei wird die Dauer der Überschreitungsperiode im Vergleich zum REF-Szenario um 13 Jahre verkürzt. Der Fußabdruck der Aufforstung/Wiederaufforstung auf die globalen Temperaturen wird bereits im Jahr 2052 sichtbar, wenn diese zu diesem Zeitpunkt 495 Mha erreicht hat. Bis zum Ende des Jahrhunderts beruht die erreichte Temperaturminderung auf einer Reduzierung des atmosphärischen Kohlenstoffs um 283 GtCO2 im Vergleich zum REF-Szenario. Dies ist jedoch niedriger als die Kohlenstoffbindung über Land, die 382 GtCO2 erreicht. Dieser Unterschied ergibt sich aus der Tatsache, dass mit sinkenden atmosphärischen CO2-Werten im Vergleich zum REF-Szenario auch die Diffusion von CO2 in den Ozean geringer wird. Daher nehmen der Ozean im AW-Szenario insgesamt weniger Kohlenstoff auf, was die Landaufnahme leicht ausgleicht. Dies hat entscheidende Auswirkungen auf die Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung von CDR, da es bedeutet, dass die tatsächliche atmosphärische CO2-Reduktion sich von der Menge der Bindung, die man auf dem Feld misst, unterscheidet.
Gleichzeitig wird angenommen, dass der Aufwuchs von Bäumen in einigen Regionen die Oberflächenenergie und die Wärmeströme so verändern könnte, dass es zu einer lokalen Erwärmung kommen kann. Dies ist hauptsächlich das Ergebnis von Änderungen des Reflexionsvermögens (Albedo) und der Rauheit der Landoberfläche nach Aufforstung/Wiederaufforstung. Eine solche Erwärmung könnte wahrscheinlich den Anpassungsbedarf vor Ort erhöhen und sollte daher mit Vorsicht behandelt werden. Die Studie zeigt jedoch, dass die starke Reduzierung des atmosphärischen CO2 (im Vergleich zum REF) bis zum Ende des Jahrhunderts eine weit verbreitete Abkühlung auf der ganzen Welt bewirkt und diese zumindest jede mögliche lokale Erwärmung kompensieren kann, die ohne Aufforstung/Wiederaufforstung aufgetreten wäre. Das Team zeigte außerdem, dass der Aufwuchs von Bäumen zu einem insgesamt feuchteren Hydroklima über Waldgebieten mit erhöhten Niederschlägen, Verdunstung, relativer Luftfeuchtigkeit und Bewölkungsgraden führt.
Trotz der Fähigkeit großflächiger Ausdehnung von Wäldern, Kohlenstoff zu binden und Temperaturen zu senken, weisen die Autor:innen auf ihre potenziellen sozioökonomischen Nebenwirkungen hin und fordern eine sorgfältige und ganzheitliche Planung zukünftiger Aufforstung/Wiederaufforstung. Die Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen in Wälder kann Menschen ihrer Lebensgrundlage berauben und sogar Bevölkerungsgruppen vertreiben. Es könnte ebenso lokale Nahrungsmittelnetzwerke gestört und so die Ernährungssicherheit gefährdet werden. Gleichzeitig verteilen die meisten modellierten Zukunftspfade die neuen Waldflächen unverhältnismäßig auf den globalen Süden. Dies wirft nicht nur berechtigterweise Fragen nach einer gerechten Lastenverteilung auf. Es legt auch nahe, dass großflächige Aufforstung/Wiederaufforstung stark von Ländern abhängen würden, deren Regierungsführung und institutionelle Kapazitäten möglicherweise nicht stark genug sind, um eine transparente, inklusive und erfolgreiche großflächige CDR-Anwendung zu ermöglichen. Eine schwache Rechtsstaatlichkeit und unsichere Landnutzungsverhältnisse in solchen Ländern könnten auch die Beständigkeit der neu gepflanzten Wälder und damit des gebundenen Kohlenstoffs gefährden. Vor diesem Hintergrund betonen die Autor:innen, dass Aufforstung/Wiederaufforstung kein Allheilmittel ist, und fordern vielmehr dringend eine rasche Emissionsreduzierung.
References:
Moustakis, Y., Nützel, T., Wey, HW. et al. Temperature overshoot responses to ambitious forestation in an Earth System Model. Nat Commun 15, 8235 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-52508-x
Author:
Yiannis Moustakis, Ludwig-Maximilians-Universität München, Department für Geographie