Für ScenarioMIP, den Teil des internationalen Klimamodellvergleichsprojekts CMIP6 (Coupled Model Intercomparison Project 6) des Weltklimaforschungsprogramms (World Climate Research Programme, WCRP), der Szenarienrechnungen für das 21. Jahrhundert umfasst, wurde ein neuer Satz Szenarien entwickelt, der unterschiedliche sozioökonomische Entwicklungen sowie unterschiedliche Verläufe des atmosphärischen Treibhausgasgehaltes abbildet.

Mit einer vorher festgelegten Auswahl dieser Szenarien wurden für CMIP6 weltweit Klimaänderungssimulationen durchgeführt, die vor allem als Grundlage für den sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC AR6), der 2021 erscheinen soll, dienen.

Von Narrativen zu Szenarien

Für die sogenannten SSP-Szenarien (Shared Socioeconomic Pathways, dt.: gemeinsame sozioökonomische Entwicklungspfade) wurden zunächst fünf sogenannte Narrative entworfen, die unterschiedliche Entwicklungen unserer Gesellschaft beschreiben:

SSP1: Der nachhaltige und grüne Weg beschreibt eine zunehmend nachhaltige Welt. Globale Gemeinschaftsgüter werden bewahrt, die Grenzen der Natur werden respektiert. Statt Wirtschaftswachstum steht zunehmend das menschliche Wohlbefinden im Fokus. Einkommensungleichheiten zwischen den Staaten und innerhalb der Staaten werden reduziert. Der Konsum orientiert sich an geringem Material- und Energieverbrauch.

SSP2: Der mittlere Weg schreibt die bisherige Entwicklung fort. Einkommensentwicklungen einzelner Länder gehen weit auseinander. Es gibt eine gewisse Zusammenarbeit zwischen den Staaten, die jedoch nur geringfügig weiterentwickelt wird. Das globale Bevölkerungswachstum ist moderat und schwächt sich in der zweiten Jahrhunderthälfte ab. Umweltsysteme erfahren eine gewisse Verschlechterung.

SSP3: Regionale Rivalitäten. Eine Wiederbelebung des Nationalismus und regionale Konflikte rücken globale Themen in den Hintergrund. Die Politik orientiert sich zunehmend an nationalen und regionalen Sicherheitsfragen. Investitionen in Bildung und technologische Entwicklung nehmen ab. Ungleichheiten nehmen zu. In einigen Regionen kommt es zu starken Umweltzerstörungen.

SSP4: Ungleichheit. Die Kluft zwischen entwickelten Gesellschaften, die auch global kooperieren, und solchen, die auf einer niedrigen Stufe der Entwicklung mit niedrigem Einkommen und geringem Bildungsstand verharren, nimmt weiter zu. In einigen Regionen ist Umweltpolitik bei lokalen Problemen erfolgreich, in anderen nicht.

SSP5: Die fossile Entwicklung. Die globalen Märkte sind zunehmend integriert, mit der Folge von Innovationen und technologischem Fortschritt. Die soziale und ökonomische Entwicklung basiert jedoch auf der verstärkten Ausbeutung fossiler Brennstoffressourcen mit einem hohen Kohleanteil und einem weltweit energieintensiven Lebensstil. Die Weltwirtschaft wächst und lokale Umweltprobleme wie die Luftverschmutzung werden erfolgreich bekämpft.

Für diese Basispfade wurden zunächst keine über die heutigen Maßnahmen hinausgehende Klimapolitik sowie keine Notwendigkeit für eine Anpassung an den weiteren Klimawandel vorausgesetzt. Entsprechend zeigen bereits Simulationen mit IAM-Modellen („Integrated Assessment Models“ – einfache integrierte Folgenabschätzungsmodelle, welche die Wechselwirkungen zwischen Ökonomie, Gesellschaft und Erdsystem simulieren), dass sich etwa die in den für CMIP5 verwendeten RCP-Szenarien (Representative Concentration Pathways, Van Vuuren et al., 2011) beschriebenen Treibhausgas-Konzentrationspfade und entsprechende Klimaziele wie das 2-Grad-Ziel so überhaupt nicht erreichen lassen, weil die Klimawirkung der resultierenden Treibhausgaskonzentrationen zu groß ist.  Um die hierfür notwendige Klimapolitik einbeziehen zu können, wurden daher zusätzlich „Gemeinsame Annahmen zur Klimapolitik“ (Shared Climate Policy Assumptions, SPAs, siehe Kriegler et al., 2014) entworfen, die unterschiedlich starke politische Bemühungen zur Begrenzung des Klimawandels sowie zur Anpassung an den Klimawandel beschreiben. Für die beiden sozioökonomischen Entwicklungspfade SSP1 und SSP2 würde sich ohne zusätzlichen Klimaschutz im Jahr 2100 ein zusätzlicher Strahlungsantrieb von ca. 5 W/m2 bzw. 6,5 W/m2 ergeben (Riahi et al., 2017).

Abbildung 1: Mögliche Szenarien ergeben sich aus den unterschiedlichen Kombinationen von Entwicklungspfaden und Strahlungsantrieben. Zur Strukturierung der Vielfalt möglicher Szenarien wurden schließlich drei wesentliche Faktoren verwendet: der Grad des Klimawandels bzw. der Stärke des zusätzlichen Strahlungsantriebes (durch den menschgemachten Treibhauseffekt), die unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungspfade (SSP1-SSP5) und ggf. notwendige SPAs. Die verwendeten Klimawirkungsklassen (Strahlungsantriebe) entsprechen dabei in etwa den RCP-Szenarien RCP2.6, RCP4.5, RCP6.0, RCP8.5, ergänzt durch einige zusätzliche Klassen. Durch Kombination der fünf exemplarischen Entwicklungspfade mit den verschieden starken Klimaantrieben ergibt sich zunächst eine Szenarien-Matrix (Abbildung 1, nach O'Neill et al., 2016).

Die Verwendung vergleichbarer Entwicklungen des Strahlungsantriebs ermöglicht den direkten Vergleich von Simulationen für CMIP5 und CMIP6. Im Gegensatz zu den RCP-Szenarien liefern die neuen SSP-basierten Szenarien nun jedoch eine ökonomische und gesellschaftliche Begründung für die angenommenen Emissionsverläufe und Landnutzungsänderungen, außerdem sind aktualisierte historische Emissionen von Treibhausgasen und Aerosolen sowie Landnutzungsänderungen eingeflossen; zudem wurden verbesserte IAM-Modelle verwendet.

Standardszenarien in ScenarioMIP

Abbildung 2: Für ScenarioMIP wurden vier Kombinationen ausgewählt, die vom Strahlungsantrieb her etwa den gleichen Bereich wie die RCP-Szenarien in CMIP5 abdecken.

Für  ScenarioMIP hat man sich weltweit auf die vier in der Abbildung 2 farbig dargestellten Kombinationen als Standardszenarien ("Tier 1") geeinigt und diese daher in den vom BMBF im Projekt CMIP6-DICAD geförderten und am DKRZ durchgeführten Szenarienrechnungen für den Zeitraum bis zum Jahr 2100 simuliert. Die hier verwendete Bezeichnung der einzelnen Szenarien ergibt sich jeweils aus den Namen der Basis-Entwicklungspfade, gefolgt von zwei Ziffern, die den 2100 erreichten zusätzlichen Strahlungsantrieb in zehntel Watt ausdrücken (Abbildung 3).

  • SSP585: Mit einem zusätzlichen Strahlungsantrieb von 8,5 Watt/m² im Jahr 2100 repräsentiert dieses Szenario den oberen Rand in der Bandbreite der in der Literatur beschriebenen Szenarien und kann als Aktualisierung des CMIP5-Szenarios RCP8.5 verstanden werden, welches nun aber mit einer sozioökonomischen Begründung verbunden ist .
  • SSP370: Dieses Szenario liegt mit 7 Watt/m² in 2100 im mittleren bis oberen Bereich der Bandbreite aller Szenarien. Es wurde gegenüber den RCP-Szenarien neu hinzugefügt und füllt die Lücke zwischen RCP6.0 und RCP8.5.
  • SSP245: Als Aktualisierung des RCP4.5-Szenarios repräsentiert SSP245 mit 4,5 Watt/m² im Jahr 2100 in etwa die Mitte der möglichen zukünftigen Treibhausgasentwicklungen. Bei diesem Szenario werden Maßnahmen zum Klimaschutz angenommen.
  • SSP126: Dieses Szenario ist mit 2,6 Watt/m² im Jahr 2100 eine Neuauflage des optimistischen Szenarios RCP2.6 und wurde entwickelt, um eine mit dem Zwei-Grad-Ziel kompatible Entwicklung simulieren zu können. Auch bei diesem Szenario werden Maßnahmen zum Klimaschutz angenommen.

Abbildung 3: Die Kurven zeigen den zeitlichen Verlauf des zusätzlich auf das Klimasystem einwirkenden Strahlungsantriebes für die Vergangenheit (in grau) sowie die vier SSP-Szenarien (grün, gelb, rot, lila). In Abbildung 3 ist der Verlauf des zusätzlichen menschgemachten Strahlungsantriebs in Watt pro Quadratmeter dargestellt, der sich auf Basis der ausgewählten Szenarien ergibt. Gegenüber dem vorindustriellen Niveau ist dieser Strahlungsantrieb bis heute bereits auf mehr als 2,5 Watt pro Quadratmeter angestiegen - das entspricht der elektrischen Leistungsaufnahme eines modernen Fahrradvorderlichts pro Quadratmeter Erdoberfläche! Die dazu passenden Verläufe der CO2-Konzentrationen in Abbildung 4 zeigen einen sehr ähnlichen Verlauf.

Abbildung 4: Mit der grauen Linie ist der vergangene Anstieg der mittleren atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentration dargestellt; die bunten Linien zeigen für den Zeitraum ab 2015 die unterschiedlichen Verläufe, die sich aus den SSP-Szenarien ergeben. Abbildung 5 zeigt die mit IAM-Modellen berechneten Emissionsverläufe, die zu den vier verschiedenen Verläufen der CO2-Konzentration passen. Für die Vergangenheit ist der historische Emissionsverlauf dargestellt. Nach dieser Darstellung müsste man quasi sofort beginnen, die Emissionen zu reduzieren und im weltweiten Durchschnitt ab etwa 2075 sogar negative Emissionen erreichen, um bis 2100 einen mit dem 2-Grad-Ziel kompatiblen Strahlungsantrieb zu gewährleisten (SSP126, grüne Kurve).

Abbildung 5: Die mit IAM-Modellen berechneten Emissionsverläufe illustrieren, wieviel Gigatonnen CO2 jeweils emittiert werden dürfen, um den entsprechenden Verlauf des Strahlungsantriebes für die unterschiedlichen SSP-Szenarien zu erreichen.
Autoren: Michael Böttinger, Dr. Dieter Kasang

Literatur:

O’Neill et al. 2016: The Scenario Model Intercomparison Project (ScenarioMIP) for CMIP6, Geosci. Model Dev., 9, 3461–3482, 2016, doi:10.5194/gmd-9-3461-2016

Riahi et al. 2017: The Shared Socioeconomic Pathways and their energy, land use, and greenhouse gas emissions implications: An overview, Global Environmental Change 42 (2017) 153–168, doi:10.1016/j.gloenvcha.2016.05.009

Kriegler et al., 2014: A new scenario framework for climate change research: the concept of shared climate policy assumptions, Climatic Change (2014) 122:401–414, doi:10.1007/s10584-013-0971-5

Van Vuuren et al., 2013: A new scenario framework for Climate Change Research: scenario matrix architecture, Climatic Change, volume 122, pages373–386(2014), doi:10.1007/s10584-013-0906-1

Van Vuuren et al., 2011: The representative concentration pathways: an overview, Climatic Change volume 109, Article number: 5 (2011), doi:10.1007/s10584-011-0148-z