18.07.2023
Die Herausforderungen des menschengemachten Klimawandels sind globaler Natur - auch wenn unterschiedliche Regionen mit unterschiedlichen Auswirkungen konfrontiert werden. Aber nicht jeder ist dazu in der Lage, zukünftige Auswirkungen schon heute beurteilen zu können und ggf. Anpassungen vorzunehmen. Gezieltes Handeln erfordert zunächst eine ausreichende Datengrundlage - sowie das Wissen und die Infrastruktur, diese entsprechend zu nutzen. Gerade für die Anpassung an den Klimawandel sind Wissen und Informationen über regionale Folgen des Klimawandels erforderlich. Wie werden sich zukünftige Hitzewellen beispielsweise auf die Landwirtschaft in Ghana, Costa Rica oder Norddeutschland auswirken?
Viele Daten sind heute zum Teil schon vorhanden (z.B. das europäische Copernicus Programm [1]), jedoch häufig nicht einfach verfügbar und nicht für alle Teile der Welt in gleicher Genauigkeit. Mit einem Informationssystem, welches globale Klimaprojektionen in einer lokalen Auflösung von bis zu 1 km bereitstellt, könnten mögliche Klimaentwicklungen besser beurteilt werden. Dies umfasst die Entwicklung von Extremereignissen wie Hitzewellen, Starkregen und Stürmen für beliebige Regionen und unterschiedliche Szenarien einer sich erwärmenden Welt. Zudem sollen gesellschaftliche Daten, etwa zur Bevölkerungsdichte, Industrie und landwirtschaftlicher Produktion, in das System eingebunden werden, um Hinweise auf sinnvolle Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasen und zur Anpassung an den Klimawandel zu bekommen.
Heute ist es jetzt erstmals mit Erdsystemmodellen möglich, das ganze globale Klimasystem mit seinen Wechselwirkungen in Auflösungen von bis zu einem Kilometer nachzubilden - allerdings bisher nur für relativ kurze Simulationszeiträume [2]. Hätte die Klimaforschung exklusiv Supercomputer der heute allerhöchsten Leistungsklasse zur Verfügung - sogenannte Exascale-Systeme - könnten mit solchen Modellen Szenarienrechnungen über einige Jahrzehnte durchgeführt und damit dringend benötigte Daten errechnet werden.
Außerdem können die ständig umfangreicher werdenden Quellen von Beobachtungsdaten besser aufgenommen und verarbeitet werden. Wenn diese “Datenquellen” nunmehr mit dem rasenden Fortschritt des maschinellen Lernens verbunden werden, ist eine Virtualisierung der Erde auf Basis riesiger Datenströme möglich. Erste Ansätze dazu zeigen Tech-Giganten wie Nvidia schon heute [3].
Beim Berlin Summit wurde daher nun auch im wissenschaftlichen Umfeld diskutiert, wie diese Masse an Daten und Möglichkeiten einer breiten Menge von Stakeholdern zugänglich gemacht werden kann. Auf Basis eines Konzeptpapiers [4] wurde dabei neben technischen Lösungsmöglichkeiten diskutiert, welche Stakeholder so direkt oder indirekt von EVE profitieren könnten.
Damit das gewonnene Wissen auch über die Grenzen der Wissenschaftsgemeinschaft verteilt und genutzt werden kann, sollen Cloud-Dienste und Methoden der KI eingesetzt werden (vgl. ChatGPT). Auf diese Weise würde ein interaktiver und visueller Zugang zu den Daten realisierbar, wie Nvidia anhand hochaufgelöster ICON-Klimasimulationen anschaulich darstellt [5]. Solche technischen und wissenschaftlichen Fortschritte können und sollen durch EVE genutzt werden, um ein neuartiges globales Klima-Informationssystem zu schaffen.
Natürlich stellt sich die Frage, welcher technische und personelle Aufwand für die Verwirklichung von EVE erforderlich wäre. Angedacht ist ein weltweiter Verbund mehrerer multi-nationaler Zentren, die, jeweils mit einem Exascale-Rechnersystem und einigen hundert Mitarbeiter:innen ausgestattet, Earth Virtualization Engines entwickeln und betreiben. Das Modell ähnelt damit der Großforschungseinrichtung CERN, wo eine weltweit einzigartige multinationale technische Infrastruktur für die Teilchenforschung entwickelt und betrieben wird. Nicht zuletzt deshalb wurde Charlotte Warakaulle, CERN-Direktorin für internationale Beziehungen, zum Berlin Summit eingeladen, um Governance und Betriebsmodell dieser internationalen Forschungsinfrastruktur vorzustellen.
Der Berlin Summit for EVE wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung durch die Förderung des deutschen Projekts WarmWorld unterstützt. Das von der ETH Zürich geleitete Projekt EXCLAIM, der Hamburger Exzellenzcluster CLICCS, das Horizon2020-Projekt nextGEMS, das Institut für Atmosphärenphysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und die Max-Planck-Institute für Chemie und für Meteorologie leisteten weitere Unterstützung.
Weitere Informationen:
[2] https://www.dkrz.de/de/kommunikation/aktuelles/50-jahre-blue-marble
[3] https://www.nvidia.com/en-us/high-performance-computing/earth-2/