In der Nacht vom 12. auf den 13. März 1906 kam es entlang der deutschen Nordseeküste zu einer sehr schweren Sturmflut. Diese verursachte an den damaligen Küstenschutzbauten zum Teil schwere Schäden und führte zu weitreichenden Überflutungen von niedrig gelegenen Gebieten (Möller, 1906 und Bebber,1906). Noch heute wird der Wasserstand dieser Sturmflut in Niedersachsen für Teilgebiete der ostfriesischen Küste als Bemessungsgrundlage für den Küstenschutz verwendet. Die damals gemessenen Wasserstände sind für die Pegel Borkum und Emden nach wie vor die höchsten, die dort jemals aufgezeichnet wurden. Für die Pegel Norderney und Wilhelmshaven wurden nur während der Sturmfluten 1962 und 2013 höhere Wasserstände gemessen (Deutsches Gewässerkundliches Jahrbuch). Obwohl die Sturmflut von 1906 für den Küstenschutz eine derart herausragende Rolle spielt, konnten und sind bisher die Wasserstände aufgrund der begrenzten Datenlage nicht umfassend rekonstruiert worden.

Gemeinsam haben das Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Hereon (vormals HZG) und das Seewetteramt des Deutschen Wetterdiensts in Hamburg im Rahmen des Projekts EXTREMENESS (kurz für: Extreme North Sea storm surges and their consequences bzw. Extreme Nordseesturmfluten und mögliche Auswirkungen) Luftdruck-, Wind- und Wasserstandsfelder dieser Sturmflut rekonstruiert und modelliert. Als besonders wertvoll erwies sich dabei das am Seewetteramt vorhandene Archiv von Logbüchern von Schiffen und Stationsdaten aus der damaligen Zeit. Für den März 1906 wurden daraus Wetterdaten digitalisiert, in Wetterkarten eingetragen und anschließend durch einen erfahrenen Meteorologen jeweils zwei Luftdruckkarten pro Tag erstellt. Diese Karten wurden anschließend erneut digitalisiert und aus der Luftdruckverteilung ein zweidimensionales geostrophisches (dazu physikalisch konsistentes) Windfeld berechnet. Mit einer Parametrisierung für den Wind in 10 Metern Höhe über See (Hasse, 1974) wurden daraus bodennahe Windgeschwindigkeiten berechnet, um schließlich mit Hilfe eines hydrodynamischen Randmeermodells unter Berücksichtigung der damaligen Gezeiten erstmals flächendeckend die Wasserstände während der historischen Sturmflut vom 12. auf den 13. März 1906 zu rekonstruieren.

Video 1: Die Visualisierung zeigt anhand der Isolinien den Durchzug der Tiefdruckgebiete, mit den Pfeilen und ihrer Farbe die Windrichtung und -geschwindigkeit sowie den Wasserstand für den 8. bis 14. März 1906. Zusätzlich wird in der kleinen Grafik unten rechts der zeitliche Verlauf des simulierten Wasserstandes für den Pegel Norderney mit und ohne Berücksichtigung des Windstaus gezeigt.

Das Besondere an dieser Sturmflut war, dass sie den Höhepunkt einer Serie von Sturmfluten im März 1906 darstellte. Hierbei zogen im Zeitraum vom 8. bis 14. März mehrere Tiefdruckgebiete über die Nordsee, deren zum Teil kräftige Winde aus Nordwest einen hohen Windstau in der Deutschen Bucht erzeugten. Während der Sturmflut vom 12. auf den 13. März 1906 traf dieser mit dem astronomisch-bedingtem Hochwasser einer Springtide zusammen, was die in der Summe außergewöhnlich hohen Wasserstände verursachte. Nach den heutigen Kriterien des Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) wäre diese Sturmflut für die Küste Niedersachsens eine schwere bzw. zum Teil eine sehr schwere Sturmflut gewesen, mit der im Mittel weniger als einmal alle 20 Jahre gerechnet werden muss.

Webseite des Projekts: https://ms.hereon.de/extremeness/

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DOI: https://doi.org/10.5446/49529

Publikationen:

Meyer, E. M. I., Weisse, R., Grabemann, I., Tinz, B., and Scholz, R.: Reconstruction of wind and surge of the 1906 storm tide at the German North Sea coast, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 22, 2419–2432, 2022. DOI: 10.5194/nhess-22-2419-2022

Bebber, W.J. van: Bemerkenswerte Stürme. Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, Juni 1906, S. 290

Deutsches Gewässerkundliches Jahrbuch (DGJ), Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein, Flintbek 2014, ISSN 2193-6374, dgj.de

Hasse, L.: Note on the Surface-to-Geostrophic Wind Relationship from Observations in the German Bight, Boundary-Layer Meteorology 6, 197 pp., 1974.

Möller, E.: Die Sturmflut vom 12./13. März 1906.  In: Mitteilungen d. Nordfriesischen Vereins für Heimatkunde u. Heimatliebe. 1905/1906, Heft 3, S 112-119.

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